Wenn ich dir erzähle, dass es grundlegend unterschiedliche Erzählperspektiven gibt, sage ich dir damit höchstwahrscheinlich nichts neues. Ich möchte trotzdem die Gelegenheit nutzen, dir die unterschiedlichen Perspektiven einmal vorzustellen und sie mit dir zu diskutieren. Vielleicht gibt dir ein Perspektivenwechsel in einer der Geschichten wieder den richtigen Drive oder du entdeckst, was dich bisher blockiert hat.
Die Wahl deiner Erzählperspektive entscheidet darüber, wie viel dein Erzähler und damit auch dein Leser über die Figuren in deinem Buch oder in deiner Kurzgeschichte wissen.
In erster Linie unterscheide ich zwischen personalen, auktorialen und neutralen Erzählern. Dann gibt es da aber auch noch den Ich-Erzähler…
Ein personaler Erzähler hat den Blickwinkel einer einzelnen Person und kann nur wissen, was diese Person weiß.
Du kannst in deinem Buch mehrere personale Erzähler einsetzen, wenn du möchtest. Du kannst es aber auch durchweg auf eine Person begrenzen. Dein personaler Erzähler darf fühlen und bewerten. Er kann aber nicht die Motive einer anderen Person beschreiben, weil er die naturgemäß nicht kennen kann, es sei denn, du schreibst über Gedankenleser, was wir hierfür aber mal kurz außer Acht lassen.
Deine personalen Erzähler sollten alle eine eigene Erzählersprache haben, damit der Leser gut unterscheiden kann, welcher „Er“ oder welche „Sie“ gerade erzählt. Im besten Fall musst du dann nicht einmal mehr den Namen deiner Figur im ersten Absatz fallen lassen, weil der Leser schon an der Sprache erkennt, dass jetzt wieder „Peter“ erzählt. Dazu werde ich dir ein anderes Mal mehr schreiben.
Der Vorteil bei einem (oder mehreren) personalen Erzähler ist, dass die Nähe zu einer Person es dem Leser ermöglicht, sich mit der Person zu identifizieren.
Die größte Schwierigkeit liegt meines Erachtens darin, dass der Erzähler wirklich nur seinen eigenen Wissenshorizont haben darf und darüber hinaus nichts aus der Geschichte erzählen kann. Ich weiß, dass das für viele Autoren ein Problem darstellt. Abhilfe kann es schaffen, wenn du auch die Gegenposition als Erzähler einsetzt. Zum Beispiel bekommen wir in vielen Thrillern auch Einblicke in die Psyche und/oder die Handlungen des Täters, damit wir mehr mitfiebern. Wir sollen wissen, was er als nächstes vor hat, damit wir uns für die bedrohten Figuren, die häufig nichts böses ahnen, stellvertretend fürchten können.
Ein auktorialer Erzähler weiß alles über die handelnden Figuren und kommentiert das Geschehen aus einem erhöhten Blickwinkel.
Außerdem kannst du natürlich auch einen auktorialen Erzähler schaffen. Dieser auktoriale Erzähler weiß alles über deine Figuren, was war und was sein wird, er wird auch allwissender Erzähler genannt. Für manche Geschichten kann diese Perspektive funktionieren, für viele wäre es aber auch absolut übertrieben.
Der größte Nachteil dieser Perspektive ist, dass du damit die gefühlte Nähe zu einzelnen Figuren verlierst. Der Vorteil ist, dass du komplexe Strukturen durch einen allwissenden Erzähler viel besser erklären kannst, als z.B. aus dem Blickwinkel einer einzelnen Figur.
Wichtig ist aber noch zu wissen, dass der allwissende Erzähler nicht der Autor ist. Auch der auktoriale Erzähler sollte seine eigene Sprache haben.
Der neutrale Erzähler hat den größten Abstand zu deiner Geschichte.
Ein neutraler Erzähler kann in keinen Kopf hineinschauen, er kann nur beschreiben, was eine außenstehende Person auch erleben könnte. Er steht unbemerkt neben deinen Figuren und berichtet davon. Er kommentiert in keine Weise das Geschehen und kennt weder Vergangenheit noch Zukunft deiner Geschichte.
Der Ich-Erzähler ist ein VIP unter den Perspektiven
Eine ganz besondere Erzählperspektive ist der Ich-Erzähler. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen einem Ich, das live erzählt und einem Ich, das aus der Zukunft berichtet. Aus der Zukunft heraus können Dinge vorweggenommen werden, wie zum Beispiel:
…Wenn ich damals schon gewusst hätte, wie die Sache enden würde, hätte ich mich für den anderen Weg entschieden…
Es gibt unzählige Beispiele für personale Erzähler. Die meisten Bücher, die ich bislang gelesen habe, hatten mindestens einen solchen Erzähler. Spontan konnte ich kein Buch aus dem Schrank ziehen, bei dem es nicht so war. Aber ich habe mir da etwas überlegt:
In den kommenden Wochen möchte ich (mit dir) ein Buch lesen, in dem 1,2,3 ganz viele Kurzgeschichten von namhaften Autoren stehen. Diese möchte ich (mit dir) stilistisch analysieren. Vielleicht können wir gemeinsam etwas von den Meistern lernen?!
Das Buch heißt Stories – Erzähler aus aller Welt und ist beim Diogenes Verlag erschienen, derzeit ist es als gebrauchtes Buch bei Amazon erhältlich (bei ReBuy leider im Moment nicht vorrätig), falls du interessiert bist. Das Buch hat über 500 Seiten und ist sicher schon rein analytisch für einen Schreiber lesenswert.
Ich werde mich für dich mal durcharbeiten und mir dabei fleißig Notizen machen. Ein bisschen gespannt bin ich ja schon, was ich dabei alles lernen darf…
Hier kannst du weiterlesen, was du über die Erzählersprache wissen solltest:
7 Dinge, die du bei deiner Erzählersprache beachten solltest